Ez a szem portál első folyamának archívuma. 2023 januárjától az ujszem.org oldalon folytatjuk!

Ötvennyolcmillió disznót – Jannis Poptradov verse

„ACHTUNDFÜNFZIG MILLIONEN SCHWEINE

werden jährlich in Deutschland

geschlachtet“, sagt er.

„Europarekord.“

 

„Ja?“, sage ich.

 

„Ja“, sagt er.

 

Wir sitzen in der

Vorhölle namens

Ess-Station. Irgendwo

im sechsten oder

siebten Hinterhof.

Ab 4:00 Uhr gibt es

hier Hackfleischbrötchen

mit Majo

und Eiersalat oder

wahlweise

XXL Buletten.

 

Die Plastikstühle

sind hart und die

Tapete war früher

mal weiß, jetzt ist

sie gelbgrau und an

manchen Stellen bricht

Unkraut durch.

 

Tayfun zupft an seiner

Kappa-Trainingsjacke

und fragt, ob ich Gras

benötige und ich sage:

„Danke, nein.“

 

„Fünfundsechzig Kilo

Fleisch isst der Deutsche

im Jahr“, sagt er.

 

„Muss kurz was erledigen“, sage ich.

 

Ich laufe zur Theke und bestelle

Kaffe zum Mitnehmen.

 

„Macht fünfzig Cent“, sagt die

Dicke hinter der Theke.

 

„Ich habe meinen eigenen Becher

dabei“, sage ich. „Also zahle ich

nur dreißig Cent.“

„Zum Mitnehmen macht fünfzig Cent.“

 

„Ja, aber zum Hiertrinken dreißig.“

 

„Zum Mitnehmen macht fünfzig Cent.“

 

„Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass

sich die Mehrkosten in Höhe von zwanzig Cent

durch das Bereitstellen eines Pappbechers

erklären, was sich, und das müssen Sie wohl

zweifelsohne zugeben, in meinem Fall erübrigt.“

 

„Claudi – der hier hat seinen eigenen Becher

dabei!“

 

„Nee – dit jeht nicht“, brüllt Claudi von hinten.

„Kann er sich gleich abschminken. Wenn sich

dit rumspricht, kommt hier jeder mit ‘nem

eigenen Becher anjedackelt.“

 

„Gut, dann geben Sie mir einen Kaffee

zum Hiertrinken.“

 

„Macht dreißig Cent.“

Die Dicke werkelt an der Fünfhundert-

Liter-Kanne und schwups schon

knallt sie die Tasse auf die Theke.

 

Ich schlendere zurück in den

Raucherraum.

 

Tayfun drückt seine qualmende

Zigarette auf dem Plastiktisch

aus.

 

„Sicher?“, sagt er.

 

„Was?“

 

„Dass du kein Gras rauchst?“

 

Ein Boxer läuft vorbei, er

mustert die anwesenden

Kanaken und setzt sich in

die hintere Ecke.

 

„Nazi-Sohn“, sagt Tayfun.

„Elektriker. Schon seit Ewigkeiten

in der Maßnahme.“

 

Im Raucherraum sind jetzt

sämtliche Stühle besetzt, es

ist eng und verqualmt und

es gibt keine Fenster, die

Gesichter werden täglich

bleicher und bleicher und

manchmal landet eine

vertrocknete Kakerlake in

der XXL-Bulette, macht nix,

sagen die arbeitslosen

Maurer und Müllkutscher

und Estrichleger, Kakerlaken

enthalten jede Menge

Proteine und außerdem

knackt es so schön beim

Kauen, im dritten Hinterhof

rammte letztens eine

Krähe ihren Schnabel in

die Augen einer zuckenden

Ratte, einige dieser traurigen

Clowns warfen Steine

nach der Krähe und alle

lachten und noch mehr

Steine wurden geworfen

und dann setzten sie sich

in den Rauch, zu ihrer

Bohnensuppe und ihren

Salamibrötchen und

sie bestellten hustend

Grützwurst und plötzlich

stand John Stymer an der Tür

und Johnny Boy flüsterte

mir etwas aus seinem

Nexus-Monolog ins Ohr.

 

Ist es nicht offenbar, dass unsere

ganze Lebensweise eine Hingabe

an den Tod ist?

 

Ich blicke zur Tür.

 

Nein. Heute steht er nicht dort.

Hat wohl was Besseres zu tun.

Vielleicht Tee trinken mit

Henry Miller. Oder Angeln.

 

„Ich habe dem ganzen Winter über

Schnee geschippt“, sagt Tayfun.

„Vier Monate lang. Als ich zum Büro

der Firma gehe, um mein Geld zu

holen, ist das Büro nicht mehr da.

Nur ein leerer Raum. Ich arbeite nie

mehr wieder für einen Türken.“

 

Ich kippe den Kaffee in meinen

Becher.

 

„Stimmt es, dass du gefeuert

wurdest, weil du deinen Chef

nicht gegrüßt hast?“, sagt er.

 

„Ja.“

 

„Wo war das?“

 

Ich nenne den Namen der

Firma und eine Stimme sagt: Okay,

Frühstückspause ist zu Ende,

und wir laufen zurück

zum Bewerbungstraining, dieser

Windows-98-Farce, durch sechs

oder sieben Hinterhöfe, wir,

die Armee der Arbeitslosen,

die Brigade des Niedergangs

westlich zivilisierter Zustände,

die Randnotiz des boomenden

Kapitals und stündlich tauchen

neue Gesichter auf und der

Debütroman von Vea Kaiser

spielt in einem Bergdorf oben

in den Alpen, das Zicklein

ist spurlos verschwunden

und die Bewohner des Dorfes

machen sich große Sorgen und

Vea Kaiser wird von Giovanni di

Lorenzo hofiert, Vea Kaiser wird

von Denis Scheck gelobt, Vea Kaiser

sitzt bei Marcus Lanz und sagt:

Die drei Dinge, die mich richtig

glücklich machen, sind Stöckelschuhe,

Fußball und Altgriechisch, und ich hebe

einen Stein auf und suche die verfluchte

Krähe, aber sie ist nirgends zu sehen.

© Petrus Akkordeon

Vorherige Teile unserer Reihe findet man hier (das Gedicht von Carla Hegerl), hier (das Romanfragment von Valentin Moritz), hier (die Gedichte von Mischa Mangel), hier (die Kurzprosa von Miku Sophie Kühmel) und hier (das Gedicht von Martin Piekar).

Jannis POPTRANDOV (*1974) in Berlin (West), regelmäßige Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften,zuletzt erschienen Η Ευρώπη μυρίζει τελειότητα (Europa riecht nach Vollkommenheit), Teflon, Athen 2016, lebt und arbeitet in Berlin.

ERDŐS Katalin (*1994) in Neumarkt am Mieresch / Tîrgu Mureș / Marosvásárhely nach einem pädagogischen Lyzeum jetzt lernt sie ungarische und deutsche Sprache und Literatur in Klausenburg / Cluj-Napoca / Kolozsvár. Kaffeelust, Theater jederzeit.

SÁRKÁNY Tímea (*1995) Tîrgu Secuiesc / Kézdivásárhely, Frau, scheibt, lest in Klausenburg/ Cluj-Napoca / Kolozsvár; Absolventin des Fachs ungarische Sprache und Literatur – Komparatistik.