Egy állatkölyök (Anya): Saskia Trebing novellája
EIN JUNGTIER (MAMA)
Du sagst Benny, dass er einen Stein suchen soll. Einen spitzen am besten. Groß.Aber nicht so groß, dass er zwei Hände zum Tragen braucht. Das wäre immerhin eine Aufgabe. Benny mag Aufgaben. Benny ist ein Kind, das gern gelobt wird. Benny will seine Sache gut machen. Aber nicht jetzt. Jetzt liegt Benny auf den Knien und heult. Er krümmt sich über dem Haufen Gewebe am Straßenrand und brüllt, als hätte man ihn angefahren und nicht die Fellruine vor ihm. „Mama!“, brüllt er mit Steinerweichstimme. Dabei zieht er zwei Liter Rotz die kleine Nase hoch. Er weiß, wie sehr du das hasst. Aber er weiß nicht, wie sehr du dieses „Mama“ hasst. Immer dasselbe, immer die Mama. Als könnte sie was ausrichten, auch wenn sie gerade irgendwo in Kreuzberg ihren neuen Freund besteigt.
„Hey, Benny“, sagst du leise. „Es ist das Beste, verstehst du? Wollen wir zusammen einen Stein suchen?“ Aber das macht es nur schlimmer. „Nein“, heult Benny und klammert sich an deinem Bein fest. „Das darfst du nicht. Du darfst ihn nicht totmachen.“ Seine Fingernägel bohren sich durch die Jeans in dein Bein. Du schüttelst seinen kleinen Körper ab. „Aua“, sagst du. So laut und bestimmt, wie es die Hornbrillendame empfohlen hat. „Du tust mir weh.“ Benny lässt los und schluchzt weiter. Im taunassen Gras des Seitenstreifens sitzt er jetzt mitten auf dem Hosenboden. Aber es hilft ja nichts. Der Fuchs ist hin, da ist nichts mehr zu machen. Die Hinterbeine kleben wie ausgerollt auf dem Asphalt, aus dem aufgeplatzten Leib quellen lilaschmierige Organe. Das Gruseligste ist, dass er noch atmet. Flaches, panisches Luftschnappen, ein dünnes Rinnsal Blut aus dem spitzen Maul. Alle paar Sekunden läuft ein Zittern durch den zerquetschten Körper. Der Fuchs kommt dir klein vor. Kein Baby, aber vielleicht ein Jungtier. Vielleicht geht das ohne Stein noch Stunden so. Ihr seid schon so tief im Wald, dass ihr allein seid. Nur das Auto sagt euch mit regelmäßigen Plings, dass der Schlüssel steckt. Das Auto, das alles kann und alles allein macht. Nur einem Fuchs ausweichen, der aus dem Nichts auftaucht, das kann es nicht. Und einem Kind so was ersparen, das kann es auch nicht.
Aus dem Radio weht das Beste der 80er herüber. „Hör mal, Benny, dein Lieblingslied“. Aber Benny spielt Schmerzensmann im Straßengraben. Du hockst dich neben ihn. „Ich verstehe, dass du traurig bist“, sagst du. Auch das hat die Hornbrillendame geraten. Er lässt sich jetzt eine Hand auf die Schulter legen. „Aber er wird das nicht überleben.“ Du musst fast lachen, als du das sagst und sich dein Sohn die Nase an deinem Poloshirt abwischt. Dasselbe haben sie damals über Benny gesagt. Ein blutiges Bündel mit Nadel im Arm. Ein Kopf kaum größer als ein Tennisball. Nicole war so schwach, dass sie ihn nicht sehen durfte. Ein Tupfen rot gegen das ganze Weiß. Alles zu still, nur der Herzschlag auf dem Monitor. Alles zu groß, bis ihm jemand eine Puppenwindel anzog. Ein Wunder, haben die Ärzte damals gesagt.
Ein Wunder, sagt Nicole, dass Benny überhaupt noch zu dir will. Aber Benny ist nicht nachtragend. Das versteht sie nicht. Das versteht nur ihr. Er wollte unbedingt baden gehen heute. Zum See im Wald, der höchstens eine Pfütze ist. Aber ihr habt ihn zusammen gefunden. Letzten Sommer war das, als du noch nicht fragen musstest, ob Benny Zeit hat. Nicole auf der Türschwelle übergibt widerwillig Kind und Strandtasche. Wenigstens ein Kuss auf die Wange, da bricht sie sich nichts ab. Aber sie schaut nur Benny an. „Macht keinen Blödsinn.“ Nur halb im Scherz. Was kannst du für diesen Scheißfuchs, der sich unbedingt vor dein Auto werfen muss?
Langsam geht dir das Geheule auf die Nerven. Du richtest dich auf und läufst ein paar Schritte im Kreis. Benny ist ein Kind, das gern „vernünftig“ genannt wird und „tapfer“. Aber er lässt sich hinreißen. Keine Ahnung, woher dieses Gejammer kommt. Das bist nicht du und Nicole ist das auch nicht. Sie haben euch immer gesagt, dass ihr Geduld haben müsst. Dass bei diesen Kindern alles ein bisschen länger dauern kann. „Jetzt reiß dich mal zusammen“, sagst du. Das hier hat nichts mit Geduld zu tun. Bennys Körper strafft sich. Er hockt nun gerade und mit gerecktem Hals über dem Restfuchs. Mit dem Pulliärmel wischt er sich die Tränen ab. „Guck mal“, sagt er mit neuer Stimme. „Ich seh’ sein Herz.“ Du willst nicht mehr hingucken. Aber du richtest den Blick auf den röchelnden Körper. Zuerst ist da nur Fell und Glibber. Aber Benny hat recht. In der Mitte pulsiert was. Das Loch im Bauch gibt den Blick frei auf ein nussgroßes Herz. Einen rasenden, blutigen Kern, der noch nicht aufgegeben hat. Dir wird schlecht. „Das ist gut, oder?“, fragt Benny. „Wenn das Herz klopft, läuft das Blut.“ Du willst ihn fragen, woher er das weiß. Immer, wenn ihr euch seht, weiß er was Neues. Er ekelt sich nicht. In seinem Blick nichts als Mitleid und Forscherinteresse in Miniatur. Plötzlich willst du nur noch, dass dieses Scheißvieh überlebt. Du siehst dich die Hinterläufe vom Asphalt kratzen, die Organe in deinem Pullover tragen. Jedes einzeln, wenn es sein muss. Heutzutage transplantieren sie Köpfe und Herzen. Im Fernsehen gibt es Hunde mit Rädern statt Beinen. „Ja“, sagst du. „Ein ziemlich zäher Kerl.“ Benny patscht dir seine Hand aufs Bein.
„Können wir ihn gesund pflegen?“ Die Narbe auf seinem Unterarm verheilt zu langsam. Ein lilawulstiger Strich zwischen zwei Reihen Punkten, genau an der Stelle, wo sie seinen kleinen Knochen zusammengenagelt haben. Im Krankenhaus haben sie ihn tapfer genannt. Sie haben ihn gegipst und verhätschelt. Dich haben sie misstrauisch beäugt. Ein Kaffee in Plastik aus dem Automaten und bitte warten Sie dahinten. Natürlich war es ein Versehen. Natürlich willst du ihm niemals wehtun. Das weißt du, das weiß er. Festhalten vielleicht, wenn er weglaufen will. Aber niemals willst du ihm wehtun. Bei diesen Kindern sind die Knochen zu weich.
Seit dem Krankenhaus will Benny Arzt werden. „Wir könnten ihn mit nach Hause nehmen“, sagt er. Mit einem Finger berührt er den Fuchs an der Schnauze. Der Atem geht jetzt noch flacher, die Augen schließen sich zu schmalen Schlitzen. Du willst ihn nicht fragen, wen er mit zu Hause meint. „Nein, Benny“, sagst du. „Das können wir nicht.“ Ihr schaut euren Fuchs einen Moment lang schweigend an. Benny legt den Kopf gegen deine Brust. Vogelgezwitscher, Röcheln und das Autopling. „Okay“, sagt er schließlich. Er löst sich aus deinem Arm und beugt sich über die Fuchsschnauze. Haucht einen Fastkuss auf den seltsam unversehrten Kopf. Du denkst: Tollwut, hältst aber die Klappe. Der Kloß im Hals ist zu groß zum Sprechen. Benny schaut dich an und du klappst nur debil den Mund auf. Er guckt besorgt. Dann dreht er sich um und verschwindet aus deinem Blickfeld. „Nicht zu weit weg“, sagst du leise. Wegen Benny bist du gestern früher nach Hause. Aber vielleicht nicht früh genug. Am liebsten würdest du dich neben dem Fuchs auf der Fahrbahn ausstrecken.
Du bleibst hocken und schließt die Augen. Durch die Vögel und den Wind kommt Motorensummen. Dann schießt ein Auto um die Kurve und rauscht viel zu schnell an dir vorbei. Der Luftzug wirft dich beinahe um. Erschrocken drehst du dich nach Benny um und siehst ihn nicht. Du springst auf, Panik im ganzen Körper, aber dann tippt er dich von der Seite an. Er streckt dir einen Stein entgegen. Groß, aber nicht zu groß, spitz und glatt. „Hier“, sagt er. „Ist der gut?“ Du stößt langsam die Luft aus. Du nimmst ihm den Stein ab. „Ja“, sagst du, „der ist gut.“ Der Atem des Fuchses wird langsamer, irgendwie friedlicher, aber das kann ja nicht sein. „Geh ins Auto“, sagst du. Benny schüttelt den Kopf.
„Ich will bei ihm bleiben.“
„Du wartest im Auto“, sagst du. Lauter jetzt, aber Benny hat sich wieder neben den
Fuchs gesetzt. „Sofort“, sagst du. Benny sitzt da. „Ich bleibe bei ihm.“
„Nein.“
„Ich will bei euch bleiben.“
„Nein.“
Das letzte Nein ist geschrien. Benny zuckt zusammen. Du greifst nach seinem Arm. Zerrst ihn hoch. Du ziehst ihn in Richtung Auto. Er schreit auf. Bist du wahnsinnig? Das ist der kaputte Arm. Du trägst das zappelnde Riesenbaby auf den Rücksitz. Schlägst die Tür zu. Benny brüllt und haut gegen die Fensterscheibe. „Mama!“, schreit er von drinnen. Du stehst vor deinem Auto und dein Herz klopft so schnell, dass es wehtut. Die Welle aus Wut und Scham rollt heran. Du kennst sie schon. Du kannst sie nur abwarten. Weil du dich nicht bewegen kannst. Ihr seht euch an, er drinnen, du draußen. Eine Pause zwischen zwei Mamas. Vielleicht zwei Sekunden. Vielleicht zweihundert. Dann zückst du das Handy und rufst Nicole an. Sie braucht nie länger als zehn Minuten. Sie nimmt ihr verheultes Kind auf den Arm und dich überhaupt nicht wahr. Du willst sie festhalten, damit sie dich ansieht.
„Er ist mir einfach vors Auto gelaufen“, sagst du. „Wir fahren jetzt nach Hause“, sagt Nicole in Bennys Haare. Benny winkt. Ihr Auto verschwindet um die Kurve. Du hast immer noch den Stein in der Hand. Du kniest dich neben den Fuchs, der nur noch unmerklich atmet. Du hebst den Stein und drückst ihn gegen deine Schläfe. Er ist kühl und feucht und riecht nach Erde. „Tut mir leid“, flüsterst du. Und schlägst zu.
Vorherige Teile unserer Reihe findet man hier (das Gedicht von Carla Hegerl), hier (das Romanfragment von Valentin Moritz), hier (die Gedichte von Mischa Mangel), hier (die Kurzprosa von Miku Sophie Kühmel) hier (das Gedicht von Martin Piekar), und hier (das Gedicht von Jannis Poptrandov).
Saskia TREBING (*1987, Bad Hersfeld (Hessen) studiert Kunst- und Literaturwissenschaften in Potsdam. Ihre Kurzgeschichten sind in verschiedenen Anthologien und Magazinen erschienen. 2015 gewann sie den 2. Preis beim Literaturpreis Prenzlauer Berg. Zusammen mit Valentin Moritz hat sie verschiedene Multimedia-Lesungen konzipiert und aufgeführt, zuletzt wurden die beiden mit ihrem Programm Ping Pong in Trümmern vom Goethe Institut nach Athen eingeladen. Saskia ist Gründerin und Betreiberin der Online-Literatur-Plattform www.54stories.de.
ANDRÁS Orsolya (*1991) Sathmar / Satu Mare / Szatmárnémeti. Alles: Schwester, Blätter, Igel. Nichts: Paul, See, Fericiriistraße.